Wenn der Morgen kein Morgen mehr ist

Der Wecker hat geklingelt. Die Brotdose steht bereit. Der Bus kommt gleich. Alltag wie immer. Schule wie immer. Ein ganz normaler Tag.

Bis er nicht mehr normal ist.

Bis aus dem Schulhaus ein Ort wird, aus dem keiner mehr herauskommen kann. Nicht lebendig. Nicht unversehrt. Nicht wie zuvor.

Graz. Eine Stadt, die jetzt weint. Und mit ihr Eltern, Geschwister, Freunde, Nachbarn. Weil elf Menschen nicht mehr leben. Weil Gewalt einbricht in einen Ort, der für Lernen und Lachen gedacht war. Und weil keiner je gedacht hätte, dass so etwas wirklich geschieht. Nicht hier.

Ich sitze da und starre auf die Nachrichten im Fernsehen. Und denke an meine Kinder. An ihre Schule. An ihre Unbeschwertheit. Ich denke an die Menschen in Graz, die sich heute nicht mehr zurechtfinden in ihrer Welt. Wie soll man da noch glauben? Wie soll man beten, wenn man schreien möchte?

Ich denke an den Schrei Jesu am Kreuz. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Markus 15,34). Der Schrei der Verlassenen. Auch ein Gottesschrei. Und einer, der durch alle Zeiten hallt.

Wenn selbst Jesus so schreit, dann dürfen wir das auch. Gott schweigt oft nicht, weil er nichts sagen will. Sondern weil Worte nicht reichen. Nur Tränen. Nur Nähe. Nur Mitweinen. Die Bibel kennt das: „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende.“ (Matthäus 28,20) Auch die finsteren. Auch die unbegreiflichen. Auch die grausamen. Vielleicht ist das jetzt das Einzige, was bleibt: Ein Gott, der nicht weggeht, auch wenn alle anderen es tun.

Gott,
wir wissen nicht, wie wir beten sollen.
Zu groß ist der Schmerz. Zu fassungslos sind wir.

Elf Menschenleben sind ausgelöscht.
Und mit ihnen Träume, Liebe, Zukunft, Hoffnung.
Wir bringen Dir unsere Sprachlosigkeit.
Unsere Wut. Unser Entsetzen.

Sei Du jetzt da, wo Worte nichts mehr ausrichten.
Halte die, die verzweifeln.
Tröste die, die um ihre Kinder weinen.
Lass uns nicht allein in diesem Grauen.
Sei Du der Gott, der mit uns durch das finstere Tal geht.
Heute. Morgen. Und an allen Tagen danach.

Amen.

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