Neulich im Bad. Ich stehe vorm Spiegel, wie jeden Morgen. Rasieren, Zähneputzen, so das Übliche. Und dann fällt mein Blick wieder darauf. Links an der Schläfe blitzt sie auf. Die graue Strähne. Eigentlich sind es inzwischen schon ein paar mehr. Sie machen sich breit. Und ich merke: Verstecken zwecklos.
Die ersten davon hatte ich schon eine ganze Weile. Aber jetzt, kurz vor der 50, werden sie aufdringlicher. Und sie wissen: Ich kann sie nicht mehr übersehen.
Manchmal, wenn ich die Haare wasche und mich durchs Handtuch rubbele, landet einer dieser silbernen Boten in meiner Handfläche. Und dann hält man so ein einzelnes, dünnes, helles Haar zwischen den Fingern, als wollte es einem etwas erzählen. So ein bisschen flüstert es mir zu: „Gell, du bist nicht mehr der Jüngste.“
Früher habe ich bei anderen drüber geschmunzelt. Jetzt schmunzeln meine Kinder über mich. Die sind 12 und 15. Und sie erleben mich langsam als einen Vater, der manchmal die Sonnenbrille sucht, obwohl sie auf der Stirn sitzt. Der abends beim Film gerne mal wegnickt. Und der bei so ziemlich jeder Aktivität schneller außer Atem ist als sie.
Und doch. Ich merke auch: Es ist kein Drama. Es ist einfach der Gang der Zeit. Und es hilft mir, dass da dieser eine Satz steht. Jesaja 46,4: „Ich will euch tragen, bis ihr alt werdet.“ Das ist gut. Sehr gut sogar. Denn ich muss das nicht alles selbst tragen: Das Älterwerden, das Loslassen, das Wenigerwerden der Kräfte. Ich darf es abgeben. Ich darf mich tragen lassen. Von dem, der mich kennt, seit ich selber 12 war. Und noch viel früher.
Manchmal staune ich sogar, wie tröstlich diese Vorstellung ist: Dass mein Leben von Anfang an in guten Händen liegt. Und dass diese Hände nicht plötzlich müde werden, wenn ich schwächer werde. Im Gegenteil. Da ist einer, der bleibt, der hält, der trägt. Mit jedem grauen Haar ein bisschen mehr.
Vielleicht sind diese silbernen Strähnen am Ende sogar kleine Erinnerungsfäden. Kleine Zeichen: Ich bin noch da. Und Gott auch.
Und so gesehen: Ich darf sie ruhig lassen, die ersten grauen Haare. Sie gehören jetzt einfach dazu.